Ein großer Förderturm ragt in den wolkenverhangenen Himmel. Darum Mauern mit Natodraht und Zäune. Zwei Wachleute schauen herüber zur Einfahrt. Jetzt kommt die Sonne durch. Ein riesiges gelbes X leuchtet auf der Zufahrtstraße. Ein Banner „Atommüll Wegstrixen – AntiAtomBonn“ hängt an einer massiven Toreinfahrt. „Heute kommt hier keiner durch“, sagt Karin, die es sich auf einem Strohsack bequem gemacht hat und strickt.
21. April 2012, 12 Uhr. Fünfzehn Aktive aus Bonn, Köln und dem revolutionären Nümbrecht blockieren die Zufahrt zum Erkundungsbergwerk für das Endlager für hochradioaktiven Atommüll in Gorleben. Sie sitzen auf einem gestricken Patchwork-X. Schenkellänge ist 15m, die Breite je ein Meter. Über 18 Km Wolle wurden von insgesamt mindestens 43 Personen verstrickt.
Über 80% wurden von Frauen angefertigt. „ Wir hatten im Januar die Idee, ein riesiges X zu stricken und haben einfach Leute und Gruppen gefragt, ob sie uns unterstützen wollen“, erzählt Karin. „Am Anfang war es ganz still, aber dann kam zum Schluss immer mehr. Von ganz verschiedenen Leuten mit denen wir teilweise noch nie direkten Kontakt hatten. Echt coole Sache.“ So z. B. von der „Wolllust“ aus Bonn, einem Zusammenschluss von aktiven Frauen, die Adenauer zu seinem Geburtstag im Januar eine riesige Wollmütze strickten. Nicht ihm persönlich, aber seinem Denkmal in Bonn.
Und aus dieser schönen Mütze wurden im Anschluss die gelben Stücke wieder herausgelöst und bilden jetzt einen Teil des Bonner Strick-X gegen Atomkraft. Ein schönes Bild: Adenauers Mütze blockiert das Endlager in Gorleben. Aus der Nähe von Marburg kamen Strickteile einer KünsterInnengruppe, die zuvor in einer „Goldenen Brücke“ eingehäkelt waren und jetzt im AntiAtomWiderstand weiter genutzt werden. Aber auch Personen aus Dortmund und Köln griffen zur Nadel und strickten Teile für die Aktion. So mancher hatte seit Jahren keine Sticknadel mehr in der Hand und bekam dabei wieder richtig Lust.
Ein blau-siberner Polizeiwagen biegt um die Ecke, fährt auf die Blockade zu und hält wenige Meter vor ihr. Zwei hochgewachsene Beamte steigen aus. „Moin, moin“, sagt der eine. „Ist das die Aktion von Gorleben 365?“, fragt das Nordlicht Joas, einem bärtigen Mittdreißiger, der gerade einen AntiAtomSpruch auf die Fahrbahn pinselt. „Ja“. „Und wer ist hier Versammlungsleiter?“ „Han mer nett – haben wir nicht. Wir sind hier alle Chefinnen und Chefs beim Blockieren“, antwortet Joas. „Ach so“, beendet der Polizist die Befragung und schreitet mit seinem Kollegen zum großen Strick-X.
Die Polizei ist diese seltsamen Aktionen seit Sommer 2011 gewohnt, seit die Kampagne „Gorleben 365“ an den Start ging. Ziel der Kampagne ist, an möglichst vielen Tagen eines Jahres die Zufahrt zum geplanten Endlager in Gorleben zu blockieren. Damit sollen die massiven Versuche der Atomindustrie und der Atompolitiker offen gelegt werden, das Endlager in Gorleben 2012 politisch, juristisch und real fest zu zementieren. Gleichzeitig soll die Öffentlichkeit einmal mehr darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Salzstock Gorleben eine schlechte der schlechten Lösungen für die Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll ist.
Bisher kamen über 42 Gruppen aus ganz Deutschland und blockierten in unterschiedlichen Formen die Zufahrt. Darunter waren Abgeordnete, Kuhle Wampe, eine Ini 60, es gab eine Ponyshow, Gebete, Geburtstagsfeiern und vieles mehr. Alles ziemlich bunt. Zurzeit fährt die Polizei eine Deeskalationsstrategie und lässt die Blockierenden gewähren, solange die Arbeiter oder Wachleute des Endlagers irgendwie über Umwege rein und raus kommen. Es gibt 6 Tore und viele Waldwege um die 2, 2 Km lange Mauer.
„Die Wachleute hier im Endlager sind manchmal ziemlich ruppig“, berichtet Anna, mit 83 Jahren die älteste Chefin der Blockierenden. „Wenn man sich denen beim Wachwechsel in den Weg stellt, ist Schluss mit Lustig.“ Anna ist mit den anderen Aktiven am Vortag die über 500 Km von Bonn ins Wendland angereist und hat die Nacht auf einem Sofa verbracht. „Wir haben in Marleben, ein paar Kilometer von hier eine Ferienwohnung für das Wochenende gemietet. Die Vermieterin ist wirklich sehr nett. Die Gruppe wurde von einer mobilen Köchin sehr, sehr lecker bekocht. Das Essen schmeckt prächtig“, schwärmt Anna.
Wie läuft eigentlich eine solche Wegstrix-Aktion ab? „Morgens haben wir uns noch mal in Ruhe zusammen gesetzt und unser Vorgehen besprochen“, erzählt Lola, die einen gelben Strickturban um den Kopf gewunden hat. „Als wir dann am Tor ankamen haben wir ratzfatz die Straße zugemacht und gesichert. Dann das gelbe Strick-X ausgerollt. Die Situation im Auge behalten: Was macht die Polizei, der Wachdienst, die blockierten Autos? Mit den Leuten geredet. Gestrickt. Musik gehört. Getanzt. Um das Endlager marschiert und erkundet. Die Zeit verging wie im Fluge. Wir hatten zum Glück trockenes Wetter und Sonne.“
Offenbar ist der Sonnengott der AntiAtombewegung gewogen. Was werdet ihr mit dem großen Strick-X machen, wenn ihr wieder in Bonn seid? „Das gelbe X – das Zeichen des AntiAtomWiderstands – soll weiter wachsen und bei Aktionen in Bonn für die sofortige Stilllegung der Atomkraftwerke eingesetzt werden. Wir werden also weiter Knoten um Knoten die Atomkraft umstricken, um sie zum Stehen zu bringen. Kurz: Atomkraft wegstrixen – Arsch huh, Zäng ussenander!
Fred und Maria
Vielen Dank an alle MitstriXenInnen aus: Amöneburg, Bergneustadt, Blankenheim, Bonn, Dortmund, Euskirchen, Hamm/Kamen, Herford, Köln, Königswinter, Mainz, Meckenheim, Nümbrecht, Oberberg, Rheinbach, Siegen, Trierweiler, Unna, Waldbröl, Waltrop und vielen anderen Orten!!!
Die Bilder können sich auch in unserem Flickr-Account angeschaut werden: http://www.flickr.com/photos/antiatombonn-de/
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